SUZUKI GS 850 GL - Fahreindrücke

Als der Kardan-Tourer in seiner ersten Version 1979 vorgestellt wurde, sagte der Geschäftsführer von Suzuki Deutschland, Otto de Crignis: "Die GS 850 liegt uns besonders am Herzen. Sie ist speziell für den deutschen Markt angelegt."
Vielleicht war das der Grund, dass bald darauf die Designer auf sie losgelassen wurden und ihr ein Chopperkleid verpassten. Ein kleinvolumiger Tropfen-Tank gehörte genauso dazu wie ein geschwungener hoher Lenker, die typische Stufensitzbank und eine verkürzte Auspuffanlage. Doch auch verschiedene technische an der Basis machten aus ihr ein interessantes Gerät. 
   
Choppertugenden und -probleme
Der wesentlichste Unterschied zur normalen GS 850 war die Ausstattung und die Geometrie der Frontpartie.
So bekam das Vorderrad eine aufwendige luftunterstützte Telegabel verpasst, deren vorgesetzte Achse ein größeres Dämpferöl-Volumen ermöglichte. Ein flacherer Lenkkopfwinkel von 60 statt 62 Grad vergößerte den Radstand auf 1510 mm und sorgte für einen souveräneren Geradeauslauf.
Die abnehmbare Easy-Rider-Sitzbank ermöglichte zwar eine etwas niedrigere Sitzposition des Fahrers, verlangte vom Beifahrer aber echte Kletterkünste, denn er thronte ganze 880 mm über der Straße.
Wie bei einem Chopper zu erwarten, war der Sitz komfortabel jedoch nicht schwammig und hatte eine wunderbar breite Sitzfläche. Zusammen mit dem riesigen Lenkgeweih, das ein wenig zu hoch und breit ausgelegt war, zwang die GL zu lockerer Chopper-Gangart - Rasen war nicht ihre Sache.
Wurde ordentlich aufgedreht, flatterte der Chopper-Treiber hilflos an der Lenkstange im Fahrtwind.  Jede Böe wurde in die Lenkung übertragen und führte zu Pendeln - präzise Lenkmanöver waren so unmöglich.
Auch auf der Landstraße war ein flottes Schwingen problematisch. Man saß etwas zu weit hinten, verlor durch die breite Segelstange das Gefühl für das richtige Einlenken in Kurven. Durch die weiche, extrem feinfühlige Gabel kamen weitere Störungen dazu und so ergab sich kein ordentlicher Strich. Stattdessen kämpfte man mit einem ständig wechselnden Neigungswinkel. Das half nur Gas wegnehmen und besonnenes Cruisen - dann war die GL in ihrem ureigenen Element.
Kleines Ärgenis am Rande war der linke Kombischalter für Blinker und Hauptlicht, der auch bei den GSX-Modellen verbaut wurde. Er hatte eine schlechte Mittelrastung und vereinigte zu viele Funktionen. So konnte es durchaus passieren, dass beim Aufblenden gleichzeitig rechts geblinkt wurde.
  
Wo ist nur der Kardan?
Antriebsseitig glänzte der Chopper mit dem gleichen perfekten Antriebssystem, das auch im Basis-Typ beeindruckte. Das Getriebe ließ sich stets weich und schnell schalten - zur Not auch ohne die Kupplung zu bemühen. Den Hinterradantrieb mittels Kardan fiel durch seine Unauffälligkeit auf, der ihn kaum von Kettensekundärtrieben unterschied. Das Kreuzgelenk war direkt im Drehpunkt der Hinterradschwinge nageordnet, so dass sich das Bike beim Beschleunigen nicht aufrichtete oder beim Gasschließen nicht zusammensackte. Die üblichen Lastwechselreaktionen, die man von dem BMW-Konzept her kannte, eliminierten die Suzuki-Leute beinahe völlig.
   
Der GL-Motor wurde noch besser.
Die alten Schiebervergaser der GS 750 wurden durch größere 32er Mikuni-Unterdruck-Vergaser ersetzt, um den Durchzug des Vierzylinders choppertypisch zu verbessern. Mit vollem Erfolg, denn so lieferte die GL jetzt 79 PS Höchstleistung und satte 68 Nm Drehmoment - und das sogar schon Umdrehungen Touren früher, als die schieberbeatmete 850er. Der Rest des Zweiventiler-Motors mit seinen zwei obenliegenden Nockenwellen und den Tassenstößeln war schon gut und blieb unverändert. Auch das Getriebe des Soft-Choppers war mit dem des Tourers identisch.
Mit voll gezogenen Choke nahm die GL spontan die Arbeit auf, benötigte aber eine Weile, bis sie ruckfrei und sauber das Gas annehmen wollte. Dann zog sie auch aus Standgas-Drehzahlen kraftvoll durch, um ab 6.000 U/min heftig bis an den roten Bereich bei 9.000 U/min zu drehen. Verglichen mit der Normal-Version hatte die GL den viel besseren Motor - nicht nur beim Durchzug, sondern auch in puncto Höchstleistung. 
Die Vibrationen der rollengelagerten Kurbelwelle, die in der Normalversion kritisiert wurden, hielten sich bei der GL in Grenzen. Lediglich um 6.000 U/min traten sie auf, bleiben aber auf einem erträglichen Niveau.
   
Kleiner Tank - großer Säufer
Neben  Tacho und Drehzahlmesser besaß die GS 850 GL noch eine Tankuhr, die bei dem mickrigen 13 ltr fassenden Tank durchaus angebracht war. Leider zeigte die Uhr recht ungenau an: Zuerst rührte sich kaum etwas und dann fiel die Anzeige bei sinkendem Benzinvorrat turboschnell Richtung Nullpunkt. Da der gute alte Benzinhahn mit Reserve-Stellung entfallen war, konnte so der verklärt dahingleitende GL-Pilot leicht von völliger Ebbe im Benzinfass überrascht werden, wenn er nicht aufpaßte.
Besonders da die Verbrauchswerte stark nach oben anschnellen konnten. Auch bei zahmen Umgang mit dem Gasgriff laufen meist über 6 Liter Normal durch die Vergaser. Auf der Autobahn genehmigte sich der Vierzylinder bis zu 9 Liter auf 100 Kilometern. Im Schnitt mußte die GS 850 GL bereits nach 178 km an die Zapfsäule. Das war auch für einen Soft-Chopper einfach zu wenig.
   
Bremsen ohne Fehl und Tadel
Die vordere Doppelscheibe der Suzuki GS 850 GL war eine Spitzenbremse. Zusammen mit der hinteren Soloscheibe konnten Verzögerungen aufgebaut werden, die zu den besten ihrer Zeit gehörten. Auch bei der Dosierbarkeit und der erforderlichen Hand- bzw. Fußkraft gab es nur Lob von den Testern.
   

© Michael (04.10.03 )    [Start]