Die wilden 60er Jahre und die gelbe Gefahr

Die kargen Nachkriegsjahre waren endlich überstanden. Deutschland spukte in die Hände, man redete von "Brutto-Sozialprodukt" und dem "Wirtschaftswunder". In West-Deutschland waren in den Fünfzigern die Motorradhersteller mit  der weltweit größten Produktion auf dem Gipfel ihres Erfolgs. In dieser Blütezeit waren über 2,2 Millionen Maschinen zugelassen.

Agonie und beinahe der Tod 
Doch der Wohlstand war nur gut für Otto Normalverbraucher, für Motorräder bedeutete er beinahe das Aus. 
Mit steigendem Einkommen wollte man das ungeliebte, unbequeme Arme-Leute-Fahrzeug möglichst schnell vergessen. Das Automobil wurde zum Statussymbol erhoben und die Motorradindustrie fiel auch in Deutschland in tiefe Agonie. 
1967 wurden nur noch 4.000 Motorräder verkauft und der absolute Bestand rutschte bis auf etwas über 400.000 Fahrzeuge ab. Es kam noch schlimmer: Von den 40 großen Motorradmarken überlebten nur BMW, Maico, Hercules und Zündapp - mehr schlecht als recht. Ruhmreiche Namen rutschten in den Untergang, andere wendeten sich profitableren Geschäften zu.
1966, als die dunklen Wolken immer größer wurden, gestand der Marktführer ein: "NSU wird nie wieder Motorräder bauen. Die Zukunft gehört dem Auto" . Es sollte für die Neckarsulmer eine schmerzvolle Zukunft werden. 

Es war die Zeit der Hutträger, des "Hawaii-Toasts", man fuhr mit dem Kleinwagen an den Badesee, in die Eisdiele oder ins Tanzcafe, hatte in jeder Beziehung ein Dach über dem Kopf und achtete darauf, dass die Bügelfalten nicht zerknitterten. 
Motorradfahren war passé: Also bleiben nur wenige Fahrensleute übrig, die auf ihren alterschwachen Zweirädern von den Wirtschaftswunder-Gläubigen mitleidig belächelt wurden.
Doch diese  "arme Schweine" hielten an ihrer Leidenschaft fest und schlossen sich eng zusammen. Verbissen wurden die alten Mäxe, DKWs, Adler und Victorias am Leben erhalten, umgebaut oder gar auf Rennerle getrimmt. Aber war der Untergang noch aufzuhalten?
     
Flower Power, Love, Freiheit
Da ging am Horizont eine neue Sonne auf. Eine kulturelle Wende, eine wilde Zeit kündigte sich an. Die Jugend orientierte sich völlig neu und die Welt begann sich in einem neuen Rhythmus zu drehen.
Jugendliche verwandelten sich in Freaks, Beatniks und Blumenkinder. Sie trugen lange Haare, abgewetzte US-Parkas, Jeans mit Schlag und - Mann, war das schön - Miniröcke im Format eines Gürtels.
Rock-, Pop- und Beat-Musik eroberte die Herzen und veränderte die Sicht. Der Nachwuchs widersprach, revoltierte gegen das Establishment , rauchte Joints und ging auf die Strasse. Die Beatles, Rolling Stones, Lords öffneten mit ihrer Musik die Herzen, riefen zur gewaltfreien Revolution auf: "Make love not war ......"
Es war ein Triumpf der Jugend. Ein Generationskonflikt, der sich bis heute nicht wiederholt hat. Man traute Keinem über Dreißig und verstand die Eltern in ihrer engen Welt zwischen VW Käfer, Dampfkochtopf, Fernseher und Reise nach Rimini nicht mehr.
Die Jungen wollte die Welt verändern und strebten doch nur Eines an: Freiheit! 

Die gelbe Gefahr und die Wiederauferstehung
Neue Ansichten, Bewegung, Abenteuer - da passte das Motorrad wieder perfekt ins Bild. Doch es war nicht mehr das billige Transportmittel. Es musste schnell sein, attraktiv, sinnlich. Die etablierten Motorradmarken konnten jedoch nur Vergangenheit  liefern - die Jugend wollte Zukunft.
Clevere japanische Händler sahen ihre Chance in Europa, nachdem sie die neue Welt bereits erobert hatten. Die japanische Sonne ging auch hier auf und für die wenigen verbliebenen Motorradhersteller begann - unmerklich, doch unaufhaltsam - die Zeit der  "gelben Gefahr".
Heute wissen wir, dass sie faszinierende japanische Technik dem  Motorrad zur Wiederauferstehung verholfen hat und auch das Überleben der europäischen Motorradindustrie sicherten. Doch das ist eine andere Geschichte...

© Michael (04.10.03 )    [Start]