Herr der Ringe
Praxistip zum Erneuem von Simmerringen bei eingebauter Welle

Von Beate Buckert

Er arbeitet recht unscheinbar. Sein Einsatzgebiet sind diverse Spezialaufträge rund ums Motorrad. Überall dort, wo rotierende und gleitende Wellen Schutz verlangen, leistet er fleißig und ergeben seinen Dienst. Bikers Aufmerksamkeit erringt er meist nur in Kombination mit Fluch- und Schimpftiraden, nämlich dann, wenn seine Dienstzeit ihrem Ende naht. Und das kündigt sich gemeinhin mit ärgerlichen Ölrotzereien an. Die Rede ist vom Simmerring, der pünktlich zum Ende des Jahrtausends seinen 70. Geburtstag feiern konnte.

Bevor wir euch einen wertvollen Tip an die Hand geben wollen, wie man ohne viel Aufwand einen Simmerring am Motor bei eingebauter Weite wechselt, bietet dieses Jubiläum jedoch Anlass genug, kurz zurückzublicken.
Denn was uns heute als kleine technische Selbstverständlichkeit begegnet, musste schließlich auch irgendwann einmal erfunden werden. 
Unsere Urgroßväter verwandten zum Abdichten der Lager von Wellen und Achsen noch anfällige Konstruktionen aus Filz oder Kork, bevor 1929 der österreichische Ingenieur Walther Simmer einen Ring aus Metall und Leder für diesen Zweck entwickelte. Wie sich noch zeigen sollte, war Leder den gewünschten Anforderungen nicht gewachsen. Es wurde undicht, da es sich nicht mit genügend Spannung dauerhaft an die Welle anpressen ließ. Aber in der Form von Synthesekautschuk fand man schließlich ein flexibles Material, daß keine Wünsche offenließ. Damit war der Grundstein gelegt für einen Ring, der Technikgeschichte schreiben sollte. Ohne ihn wären zahllose Entwicklungen, insbesondere die schnelle Veränderung hin zur Mobilitätsgesellschaft, nicht möglich gewesen.
So haben wir es letztlich auch dem guten Herrn Simmer zu verdanken, daß wir heute unserem liebsten Hobby frönen dürfen. Am Objekt unserer Begierde wimmelt es geradezu von Simmerringen. Überall, wo sich zylinderförnige Wellen drehen oder auf und ab bewegen, ob an Motor, Fahrwerk oder Rädern leistet das gute Stück Abdichtungsarbeit. Nicht selten befinden sich im Motor über zehn verschiedene Simmerringe. Dreck, Steinschlag, Hitze, Materialausbrüche, defekte Lager oder die natürliche Alterung sorgen irgendwann dafür, daß das Dichtgummi nicht mehr das leisten kann, was es soll. Schmierige Ölspuren künden von porösem Gummi. 
Gerade am Motor ist die Herkunft des Übels oft nicht so einfach auszumachen. Hier heißt es Motor reinigen, heiße Runde drehen, und anschließend die Ölspur zurückverfolgen. Sifft es tatsächlich aus einem Simmerring, hat man gemeinhin ein Problem. Während das Wechseln der Simmerringe außerhalb des Motorbereichs im Normalfall kein allzu großes Problem darstellt, kann hier Arbeit auf einen zukommen. Denn sobald es sich um einen Dichtring am Wellenende, wie z.B. der Kurbel- oder einer Getriebewelle handelt, wird für den Ringwechsel üblicherweise der Motor zerlegt. Es gibt diese traurigen Beispiele, wo man in Werkstätten 600 bis 700 Mark berappen muß, um einen Simmerring, der gerade mal ein paar Mark fuffzig kostet, auszutauschen. Bevor wir euch einen Tip geben wollen, wie man den ganzen Spaß auch ohne aufwendiges Motorzerrpflücken hinbekommt, ist es wichtig, die Ursache der Undichtigkeit herauszufinden.
   

Rinnsal: Wenn - wie hier - das Öl nicht im Motor bleiben will, muß der Simmerring ausgetauscht werden
Der Simmerring übt Kraft auf die Welle aus. So arbeitet sich im Laufe der Zeit die Dichtlippe des Rings in die Welle ein. Dadurch kann es zu Ausbrüchen (Pitting) im oberflächengehärteten Wellenmaterial kommen, was wiederum die Gummilippe beschädigt. Dies ist eine normale Abnutzungserscheinung, die gerade nach hohen Motorlaufleistungen eine der Haupursachen für defekte Simmerringe ist. Begünstigt wird dies auch durch Einflüsse von außen. Dreck und Steinschlag, aber auch Feuchtigkeit sind hier die maßgeblichen Angreifer.
So sei darauf hingewiesen, daß Dampfstrahler pures Gift für Simmeringe sind. Durch den hohen Druck kann Feuchtigkeit in die Dichtlippe dringen, was zu Oxidationsschäden auf der Welle führt, oder diese direkt beschädigt. In jedem Fall müssen Schäden an der Motorwelle oder deren Lager ausgeschlossen werden, bevor einfach nur der Ring austauscht wird.
Bevor man sich die meist teuren Simmerringe aus dem Originalzubehör besorgt, lohnt sich der Blick ins Branchenbuch. Denn Simmerringe sind genormt, und sind beispielsweise im Kleineisenwarenhandel oder dort, wo Zuhehör für Hydraulik oder Elektromotoren angeboten werden, um ein vielfaches preiswerter. Hier sind manche Simmerringe auch in Ausführungen mehr Dichtlippen erhältlich, wodurch natürlich eine längere Lebensdauer gegeben ist. Im Motorradzubehörhandel sind sie auch recht günstig zu ergattern, allerdings werden hier meist nur komplette Sätze angeboten.
   
Ursachenforschung: Warum ist der Simmerring verschlissen?
In unserem Beispiel haben wir einen Simmerring an der Ritzelwelle einer Yamaha XS 650 ausgetauscht. 
Nach über 80.000 Kilometern hatte sich hier der Ring bereits in die Gleitfläche eingearbeitet. Da bei der XS die Ritzelwelle mit einer Buchse versehen ist, mußte so auch die Buchse erneuert werden.
    
In den Simmerring werden jetzt zwei gegenüberliegende Löcher gebohrt. 
Beim Anbohren ist es sehr wichtig darauf zu achten, daß der Sitz des Simmerrings im Alugehäuse nicht beschädigt wird. Wer Angst hat, daß beim Anbohren dahinter liegende Motorinnereien (z.R. Lager) beschädigt oder beeinträchtigt werden, der kann die Löcher auch mit einem spitzen Dorn in den BIechmantel des Simmerrings treiben. Die Löcher möglichst weit am Rand des Simmerrings ansetzen, und zwar so, daß die Schrauben (siehe unten) im Falle eines dahinter liegenden Lagers nicht auf dieses, sondern auf den äußeren Lagerung drücken.
   
Die selbst "konstruierte" Abziehvorrichtung erleichtert die Arbeit enorm.
Ein Problem stellt schon das Herausnehmen des ausgenudelten Simmerrings dar, da zwischen Welle und Dichtring kein Platz ist, um ein Werkzeug anzusetzen. Hier gibt es einen recht einfachen Trick, für den man sich eine Art "Auszieher" konstruiert. Dazu nimmt man ein Paar passende Holz- oder Blechschrauben und rundet die Spitzen vorher ab. Die Löcher möglichst weit am Rand des Simmerrings ansetzen, und zwar so, daß die Schrauben im Falle eines dahinter liegenden Lagers nicht auf dieses, sondern auf den äußeren Lagerung drücken. Die Schrauben gleichmaßig in die Löcher drehen - und schon kommt einem der Simmerring entgegen, der sich jetzt problemlos abnehmen laßt.
   
Wenn man jetzt einfach den neuen Simmerring reinhauen würde, 
wäre die Welle zwar abgedichtet, aber der Ring würde von außen undicht, da er sich vom hinteren Rand her aufbördelt. Dies trifft vor allem auf horizontal geteilte Motorgehäuse zu. Um das abzuwenden, kann man folgendermaßen vorgehen: Man nimmt sich eine Feile oder einen Elektroschleifer und feilt eine trichterförmige Phase in den äußeren Rand des Simmerringsitzes im Motorgehäuse. Diese solllt schön ausgeprägt sein, und abschließend mit feinem Schleifpapier geglättet werden. Eine Breite von zwei Millimetern schadet nicht. Das dahinter sitzende Lager wird vorher mit einem passend geschnittenen Pappkarton vor Spänen geschützt.
   
Der alte Simmerring eignet sich bestens zum Eindrücken des Neuen.
Was vorher scharfkantig und eckig war, ist jetzt schön abgeschrägt, so daß der Simmerring gut reinflutschen kann. Das ganze wird mit Motoröl eingeschmiert, damit's noch besser flutscht. Jetzt kann der Simmerring mit Hilfe des alten Simmerrings, der umgedreht als Puffer verwandt wird, und eines Einschlagdorns eingetrieben werden.
Ölfleck ade: Wenn alles ordentlich zusammengesetzt wurde, ist der Motor wieder dicht

Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift "BIKERS Live!" (Ausgabe Juli/August 2000, Texte und Fotos Beate Buckert). Für die Veröffentlichung liegt mir die freundliche Genehmigung der Autorin sowie des Huber Verlags vor.

Michael (21.03.04 )    [Start]