Gewindereparatur
Fassungslos - wenn die Mutter nicht mehr greift!
Von Jens Meyer
Ein
Schlag zuviel ...
auf die Steckachse, die Mutter schief auf
den Bolzen gedreht oder schlicht nur der Pfusch des
Vorgängers: an ein vermurkstes Gewinde zu geraten,
ist mehr als leicht.
Schrauben und Muttern in und an Fahrzeugen haben meist
Regelgewinde. Damit sind wir auch schon mitten in der
Materie. Man unterscheidet Schrauben oder Gewinde
allgemein nach der Form des Gewindes, dem Durchmesser
und der Steigung des Gewindes.
Häufige Gewindeformen sind Regelgewinde, Feingewinde,
Whitworth-Gewinde, Trapezgewinde und Rundgewindearten.
US-Amerikaner, Briten und Inder verwenden teilweise
noch heute zöllige Maße.
Die sind natürlich auch genormt.
Was darf's denn sein?
Geht man also hierzulande zum Schraubenonkel, um
Ersatz für eine kaputte Schraube zu beschaffen, wird
man dem Mann möglicherweise mit einem fröhlichen "Tach'
auch, ich hätte gerne eine M10 mal 60, verzinkt,
Sechskant" begegnen. Verzinkt heißt eben
verzinkt und nicht blank oder nur brüniert (schwarz)
und Sechskant ist die Form des Kopfes.
Der Mann hinterm Tresen sollte sofort bescheid wissen
und könnte sich nur noch eine Nachfrage erlauben: "Welche
Festigkeit soll's denn sein?".
Schrauben, Muttern und Bolzen werden in verschiedenen
Festigkeiten produziert; bei Schrauben kann man das
auf den Köpfen nachlesen. Niedrigste Festigkeit ist
4.6, meist trifft man 8.8, hohe Festigkeit ist 12.9.
Man kontert also mit einem gelassenen "8.8
sollte reichen" und erhält dann eine
mittelfeste, verzinkte Maschinenschraube.
Die Schraube ist vom Kopf abwärts 60mm lang, das
Gewinde hat einen Durchmesser von 10mm und eine
Steigung von 1.5 mm pro Umdrehung.
Die Steigung bei Regelgewindeschrauben ist festgelegt.
Bei M10 beträgt sie z.B. 1.5mm. Bei M6 1mm, bei M12
1.75mm.
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Gewindefeile
Was aber tun, wenn die nächste
Schraubenverkaufsstelle zu hat oder man sich mit
Motorschaden in der Sahara aufhält?
Wie gesagt, meist hat ja der pfuschige Vorgänger
schuld ...
Gott höchstpersönlich hat nur zwei Sachen
erfunden: den Menschen und die Gewindefeile.
Wir betrachten hier die Gewindefeile und finden
sie perfekter als den Menschen. ;-)
Mit einer solchen Feile, die man nur im
Fachhandel für vielleicht 25 - 30 EUR erhält,
würde man in einem Entwicklungsland
wahrscheinlich eine Schraubenfabrik aufmachen.
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Man kann mit ihr vermurkste Innen- und
Außengewinde acht verschiedener Steigungen wieder
in Form feilen. Hat man das ein wenig geübt,
gelingt eine solche "Reparatur"
formidabel.
Natürlich trägt man Material ab - bei der
Belastung einer solcherart "reparierten"
Schraube muss man das berücksichtigen.
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Dreiphasengewindebohrer,
drei Freunde
Hat man keine solche Wunderfeile, kann man sich
mit einem Gewindeschneidsatz weiterhelfen.
Da leisten auch schon Baumarktsätze á la
"Vierzigteile 25 EUR" ganz brauchbare
Dienste.
Innengewinde ("Mutterngewinde"), stellt
man mit einem Gewindebohrer her.
Solche Gewindebohrer schneiden ein Gewinde in drei
Zügen:
- der erste Gewindebohrer hat einen Ringel am
Schaft und bohrt vor,
- der zweite Bohrer hat zwei Ringel am Schaft
und
- der dritte stellt das Gewinde im letzten Schnitt
fertig.
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Der dritte Fertigschneider hat gar keinen Ringel.
Für einfache Reparaturen nimmt man direkt den
Fertigschneider.
Diese Dreiphasenbohrer haben einen langen
Anschnitt, d.h. bei einem Sackloch (Grundloch),
beispielsweise in einem Gehäuse, kann man damit
unter Umständen nur die obersten beiden
Gewindegänge nachschneiden, weil der
Gewindebohrer schon unten im Sackloch angekommen
ist.
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Maschinengewindebohrer
Mit Sackloch- oder Maschinengewindebohrern kommt
man weiter:
Sie schneiden Gewinde in einem Zug bis kurz vor
den Grund der Bohrung und sind deshalb für
"Gewindereparaturen" besser geeignet.
Sie haben jedoch nur einen sehr kurzen Anschnitt
und müssen deshalb sauber eingeführt werden:
Extrem wichtig ist bei der Reparatur eines
Innengewindes in einem Sackloch, den richtigen
Gewindeanfang zu treffen.
Lieber 5 Minuten länger in einer Bohrung (die man
vorher mit Pressluft oder mit einem feinen
Holzspan gesäubert hat) herumstochern, als mit
Gewalt den Gewindebohrer 'reindreschen.
Damit bohrt man die restlichen Gewindegänge
gänzlich heraus und hat nachher eine blanke,
zylindrische Bohrung ohne Gewinde.
Nun ja: die kann man, wenn Fleisch vorhanden,
immerhin mit dem nächst größeren Gewindemaß
versehen.
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Schneideisen für
Außengewinde
Schrauben oder Bolzen bekommt man mit einem
Schneideisen für Außengewinde wieder in Form.
In einen Schneideisenhalter passen Schneideisen
verschiedener Größen.
Für mehr Geld gibt's besseres Material, doch die
einfache Ausführung tut's auch.
M10 sollte man in verschiedenen Steigungen
vorrätig haben - sonst hat man häufig die, die
man gerade nicht braucht.
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Auch hier ist es wichtig, den Anfang des Gewindes
zu treffen. Dann hat man fast gewonnen.
Zur Kontrolle kann man eine unbeschädigte Mutter
verwenden.
Sie soll sich ohne Rucken von Hand auf die
Schraube drehen lassen.
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Kuchenmesser-Reparatur
Hat man kein Schneideisen, und ist nur der erste
Gewindegang vermackelt, kann man sein Glück auch
mit der Dreikantfeile allein versuchen (die
Gewindefeile ist natürlich immer erste Wahl).
Längere Schrauben sägt man sich einfach ab. Mit
einer Dreikantfeile und ein wenig Geduld lässt
sich so in der Sahara ein prima Gewindeanfang
hinbasteln.
Sehr abgebrühte Zeitgenossen popeln sich einen
Gewindeanfang mit einem Kuchenmesser wieder
zurecht. In der Not ist alles erlaubt.
Auch kann man eine härtere Mutter als
Schneideisen missbrauchen - also mit einer 12.9er
Mutter die 8.8er Schraube zerspanen.
Ist beides gleichhart, sind Mutter und Schraube
danach gleichkaputt.
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Viele Wege führen bei der Reparatur nach Rom.
Interessant sind natürlich noch die Irrwege und
Schlammpfade "Linksgewinde" und
"andere Steigung".
Bei drehenden Teilen verwenden Konstrukteure
manchmal Linksgewinde.
Schrauben und Muttern sind dann mit einem
Körnerschlag oder einer eingedrehten Rille
versehen. Kann einen zum Wahnsinn treiben, wenn
man das als Rechtsgewinde nimmt.
Mitunter kommen unvermittelt auch andere
Steigungen vor. M10 gibt´s auch mit einer
Steigung von 0.25, 0.5, 1.0 und 1.25 mm. Regelgewinde ist
1.5 mm. Da passt nix zusammen. Im Zweifel
innehalten und nachdenken.
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Text und Fotos Jens Meyer von www.autoschrauber.de.
Für die Veröffentlichung liegt mir die freundliche
Genehmigung des Autors vor.
Zu den hier beschriebenen Reparaturen hat sich Werner
so seine Gedanken gemacht, die auf langer und manchmal
leidvoller Erfahrung basieren:
Gewindefeilen sind mit Vorsicht zu genießen.
Erstens war das früher schon ein Notbehelf, zweitens
kostet eine gute Gewindefeile auch ganz schön Geld und
drittens muss man damit Übung haben. Manchmal ist eine Dreikantschlüsselfeile effektiver.
Ebenso ist es mit den
Gewindeschneidern, die 3-fach Stätze habe
eigentlich ausgedient und taugen auch nur für
Durchgangsgewinde. Am besten wären Gewindeformer aber
die sind richtig teuer. Ich empfehle gute
Sackloch-Gewindebohrer vom Fachhändler (HSS), die vom
Baumarkt (meist mit "Werkzeugstahl" oder "Spezialstahl"
oder "Carbonstahl" tituliert) taugen eher nichts. Lieber
nur das kaufen was man gerade braucht, als ein
unbrauchbares Sortiment. Marken-Gewindebohrer sind
maßhaltig und standfester. Auch sollte man den richtigen
Kernbohrer haben. In den Sets, die oft im Angebot sind,
ist nur der für M6 drin. Natürlich benötigt man für ein
gerades bzw. senkrechtes Gewinde auch eine anständige
Einspannmöglichkeit (Schraubstock) und zum Kontrollieren
der Gewindeschneiderlage einen Winkel.
Wenn einmal aufgebohrt ist und
dann dieses Gewinde vermurkst wird, dann ist das Teil
garantiert Schrott und dann hilft nur noch eine
Gewindereparatur mit Drahtgewindeinsatz, besser bekannt
als "Helicoil". Ich habe ein Sortiment von Westfalia im
Einsatz. Die Einbau-Werkzeuge sind wesentlich günstiger
als das Orginal, aber nachkaufen sollte man die
Original-Gewindeeinsätze.
Bohrarbeiten sollte man dazu vorzugsweise mit
einer Ständer- bzw. Säulenbohrmaschine (nicht so eine
windige Lösung mit Handbohrmaschine im Wackelständer)
ausführen. In Motorradzeitschriften wird gern mal die
Handbohrmaschine abgebildet, davon rate ich ab.
An Motorbefestigungen oder an den Bremsen wird oft
ein Feingewinde anstelle eines
Regelgewindes eingesetzt (z.B. M10x1,25 statt Standard
M10x1,5). Eine metrische Standard-Mutter klemmt nach 2-3
Umdrehungen) und wer weitermacht, zerstört das Gewinde.
Inzwischen gibt es Führungshülsen zum
Schneiden von Außengewinde,
einfach mal googlen. Wenn ein Außengewinde etwas
verdrückt ist, z.B. Schraube heruntergefallen, dann eine
Mutter aufschrauben und die Mutter auf eine harte Fläche
(z.B. Schraubstock) aufklopfen (nur locker aus der Hand
heraus), dabei die Schraube rundum drehen. Meist kann
man so ohne Nachschneiden das Gewinde wieder gangbar
machen.
Die Reparatur von leicht defekten Gewinden mit der
Kuchenmesser-Methode möchte
ich eigentlich nicht kommentieren. Besser ist es, eine
Schraube bzw. Mutter seitlich mit einer Fläche oder
Kerbe zu versehen. Das wirkt wie eine Schneidkante und
man hat sich eine Reparaturwerkzeug geschaffen. Dieses
Werkzeug dann mit Schmiermittel auf das vermackte
Gewinde setzen und vorsichtig im Pilgerschritt-Verfahren
(2 Schritte vor und einer zurück) eindrehen. Michael (06.04.13
) [Start]
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