SUZUKI GS 550 - Fahreindrücke

Die GS 550, Suzukis dritte Viertakt-Kreation, feierte 1977 auf dem deutschen Markt ihr Debüt. Die Zeitschrift MOTORRAD hatte dieses Modell ausgiebig gefahren und der Eindruck aller Tester war einhellig: "Feinkost und japanische Spitzenklasse".
Der Vierte im Kreise der japanischen Motorradhersteller hatte lange gebraucht, um den mittleren Viertakter serienreif zu machen. Dafür verkaufte sich der 49 PS-Neuling am Anfang im Vergleich zur Konkurrenz glänzend.
Kunststück, denn die neue Konstruktion mit dem auffallenden Doppelnocken-Zyllnderkopf machte technisch und optisch einiges her. Innerhalb eines Jahres hatten die Leute aus Hamamatsu nach der schmerzhaften Pleite mit der Wankel RE-5 drei gestandene, überzeugende Viertakt-Modelle auf den Markt geworfen. Die GS 550 war dabei der Schönling des Trios: schmal, zierlich und wie aus einem Guß.
   
Triebwerk mit italienischem Touch
Der Motor war ein kleines Sahnestück. Ein stabiler und trotzdem schlank wirkender Motorblock trug vier wirkungsvoll verrippte Zylinder in Reih und Glied, die von einem der schönsten Zylinderköpfe abgeschlossen wurden, die es in der Serienfertigung gab. Die beiden edel geformten Nockenwellengehäuse mit dem mittigen Kettenschacht zeugten nicht nur von der Kunst der Suzuki-Ingenieure, sondern verrieten dem Kenner, dass die japanischen Designer intensiv auf den italienischen Rennmotorenbau geschielt hatten: Gilera und MV Agusta liessen grüßen.
Auch innerhalb des quadratischen Triebwerk mit einer Bohrung von 56 mm und 55,8 mm Hub wirkten technische Feinheiten. Zwei obenliegende Nockenwellen betätigten direkt über Tassenstößel die acht Ventile. Probleme beim Ventileinstellen gab es dennoch keine, denn bei der Suzuki-Methode mußten nicht beide Nockenwellen ausgebaut werden, sondern lediglich die Tassenstössel mit einem Spezial-Schlüssel heruntergedrückt werden, um an die unterschiedlich dicken Einstell-Shims zu kommen.
Der Motor der GS 550 mußte sich in der Mittelklasse mit dem der Honda CB500 bzw. CB550-Motors messen. Diese bestach durch beinahe vibrationsfreien Lauf, Leistungsabgabe über einen breiten Drehzahlbereich und Drehfreudigkeit bis etwa 10.000 1/min. 
Die SuzukI lief bis etwa 6.000 Touren ruhiger und elastischer als die Honda. Allerdings hatte das Triebwerk obenherum spürbare Vibrationen und eine etwas schmalbrüstige Leistungsabgabe. Setzte sie sich bis 120 km/h noch um eine Sekunde von der CB 500 ab, so zog die Honda ab 140 km/h unbarmherzig vorbei.
Die Vibrationen der GS 550 waren auf deren rollengelagerte Kurbelwelle zurückzuführen. Warum der Motor nicht die technisch günstigere und preiswerte Gleitlagerung besaß, lag sicher daran, dass die Suzuki mit Rollen aus dem Zweitaktbau mehr Erfahrung hatte. So ergaben sich Schwierigkeiten, die Kurbelwelle präzise auszuwuchten.
Mit dem Elektro-Starter sprang stets gut an und verwöhnte - bei sommerlichen Temperaturen mit einer kurzen Choke-Phase. Das seidenweiche Getriebe schaltete meist exakt. Lediglich die Suche nach dem Leerlauf war manchmal schwierig.
Besonders gefiel die feinfühlige Gasannahme und die verwertbare Leistung bei niedrigen Drehzahlen. Sogar das Anfahren im letzten Gang, obwohl nicht zu empfehlen, gelang mit schleifender Kupplung.
   
Gute Stopper
Fuß- und Handhebel waren ergonomisch richtig angebracht und unterstützten damit die Wirkung und gute Dosierbarkeit der Doppelscheiben-Bremse im Vorderrad. Die Tester bezeichneten sie als " nahezu optimal". Nur empfindsame Naturen konstatierten an der nur für Europa montierten zweiten Scheibe zwar etwas mehr Kopflastigkeit und Trägheit in der Lenkung, doch das war dem Normalfahrer sicher ziemlich schnurz, wenn er nur rechtzeitig zum Stehen kam.
Hinten kam eine simple Trommel zum Einsatz, die zu wünschen übrig ließ und in der E-Version bald einer modernen Scheibe weichen mußte.
   
Tuning am Fahrwerk war kaum nötig
Die Testfahrer notierten eine für die damalige Zeit ausgezeichnet ansprechende Telegabel, die nur bei flott überfahrenen Querrillen das Vorderrad etwas zu lange in der Luft hielt. Kein Problem, denn die prima Dämpfung brachte die Fuhre schnell wieder zur Ruhe. 
Die hintere Schwinge wurde komfortabel  mit gut dämpfenden Federbeinen abgestützt und technisch präzise in Nadellagern geführt. Damit war sie ihrer Zeit weit voraus und vermittelte den Eindruck frappierender Handlichkeit, obwohl die Maschine immerhin 220 Kilo auf die Waage brachte. Mit der GS 550 gaben die Söhne Nippons eine überzeugende Vorstellung in der Kunst des Fahrwerkbaus. Das mühevolle und teure Fahrwerk-Tuning an Japanerinnen gehörte damit der Vergangenheit an. Ungetrübter und sicherer Fahrgenuß war serienmäßig sichergestellt - Herz, was willst Du mehr.
Nur die ab Werk aufgezogenen Bridgestone-Reifen entsprachen noch nicht den europäischen Erwartungen, zeigten Schwächen bei Nässe und beim Geradeauslauf.
Dennoch ermöglichte es die GS 550, sehr schnell in eine Kurve hineinzutauchen und spät die Ideallinie zu korrigieren. Plötzliche Richtungsänderungen, Bremsen in Schräglage und anderen Unsinn steckte die GS brav weg.  Auch weniger routinierte Fahrer fanden ohne größere Schwierigkeiten schnell einen guten Strich.
Sicherheit gab auch die große Bodenfreiheit der GS 550, die durch eine geschickte Verlegung von Ständer, Fußbremshebel und Auspuffanlage erreicht wurde und so verhinderte, dass es zu unfreiwilligem Bodenkontakt kam.
    
Beinahe perfekte Sportlerin
Die Sitzposition litt etwas durch den schmalen Lenker der Europa-Ausführung, die gegenüber der USA-Version Fahrern mit kurzen Armen eine verkrampfte Haltung bescherte. Leicht nach hinten gekröpfte Lenkerenden zwangen die Handgelenke in einem unnatürlichen Winkel. Dagegen war die Position der in Silentblöcken gelagerten Fußrasten perfekt.
Alles übrige an der GS zeigte hohen japanischen Standard. Die Tankkapazität von knapp 17 Litern ergab einen Aktionsradius von über 200 Kilometern, der auch mit Hilfe der gut lesbaren Instrumente mit rot eingefärbten Skalen und der "luxuriösen" elektronischen Ganganzeige ohne Ermüdung durchgehalten werden konnte. Da nervte nur der schwache Blinkerschalter, der nicht immer richtig einrastete und das fehlende H4-Licht im Scheinwerfer.
Die GS 550 fügte sich perfekt zwischen die kraftvolle GS 750 und die handliche GS 400 ein, denn sie bot für viele Fahrer einen Kompromiß, der keinen Verzicht bedeutete. Wer eine 550er erwarb, war Realist und fand das richtige Verhältnis zwischen den eigenen fahrerischen Qualitäten und den damals schon problematischen Verkehrsverhältnissen. Mit dem kleineren Vierzylinder von Suzuki lagen die meisten Fans goldrichtig.

© Michael (04.10.03 )    [Start]