Der
Bazillus erwischt mich
Geboren in den 50ern, bin ich ein Kind der 60er und 70er
Jahre. Ich erlebte die APO-Zeit, wurde von den Beatles
musikalisch aufgeweckt und diskutierte tagelang über
Gewaltfreiheit, Establishment und Pazifismus. Rückblickend
passten die vielen Motorräder, die ich besaß damit perfekt
ins Bild. Hier konnte und kann ich mir die Momente der
Freiheit holen, die nötig sind, um den Alltag zu
bewältigen, der leider dem Leben, das ich als langhaariger
Schüler so ablehnte, verdammt ähnlich geworden ist. That's
live!
Meine Motorradgeschichte ist eine lange und bewegte,
vielleicht nicht unähnlich der Euren. Erzählenswert
ist sie allemal.
Nr 1 - Frühe Liebe zu einem
alten Eisenhaufen
|
Eine typische Vertreterin der
Nachkriegszeit war die Miele
98. Sie gab den
Deutschen die Mobilität wieder und half ein
wenig mit, Deutschland wieder aufzubauen.
Ihr zuverlässiger Sachs-Motor leistete 1,5 PS
und arbeitete im Zweiertakt mit Nasenkolben und
Schnürle-Umkehrspülung. Das 2-Gang-Getriebe
wurde mit einem Hebel an der Lenkstange
geschaltet. Eine ungedämpfte
Parallelogrammgabel im Vorderrad vermittelte ein
Minimum an Komfort.
Hinten malträtierte ein starrer Rahmen die
Bandscheiben. |
|
Lang und treu diente die Miele, Baujahr 1948 meinem
Vater, dann wanderte sie in einen Schweinestall und wurde
vergessen. Ich, gerade mal 13 Jahre jung entdeckte sie Jahre
später beim Spielen. Benzin und Öl wurden vom
Nachbarsbauern organisiert, die Schutzbleche wegen der
Sportlichkeit abgesägt, ein paar Tritte … und sie lief!
Die Gegend um den Bauernhof meiner Großeltern, die
Lüneburger Heide wurde solange unsicher gemacht, bis ein
Feldschütz dem Treiben unbarmherzig ein Ende machte. Doch
der Bazillus saß!
Nr. 2 - Schlaflosigkeit und
Herzklopfen
|
Das Zündapp Mofa M25 kam 1965 in
der Blütezeit der sogenannten “Motorfahrräder”
auf den Markt und entwickelte sich schnell zum
“Mercedes” dieser Fahrzeuggattung.
Die Technik war hochwertig und äußerst robust:
Zweitakt-Motor mit Gebläsekühlung, “sportliche”
2-Gang-Handschaltung, Pressstahlrahmen,
Kettenkasten, Vorder- und Hinterradfederung.
Fast mit dem Look einer Großen.
Die Leistung von 1,2 PS war eher untertrieben
und so standen meist riesige 35,6 km/h auf dem
Tacho - langliegend wohlgemerkt.
Ich erstand meine noch vor dem 16ten Geburtstag.
Ein Freund wusste von einem Kumpel, der kannte
jemanden, der dieses "Traum-Mofa"
verscherbeln wollte. |
|
Ich konnte tagelang nicht schlafen, doch endlich ging es
mit klopfendem Herzen zum Verkaufsort. Die mühsam gesparten
400 DM brannten in der Tasche. Ich war total blind, wollte
sie unbedingt haben
und hätte alles gekauft.
Doch sie war makellos, wunderbar gepflegt, knallrot und in
weniger als einer halben Stunde mein Eigentum.
Was für ein Gefühl die kleine Zündapp nach Hause zu
schieben! Sie war der Anfang der eigenen Mobilität und
einer langen Leidenschaft.
Nr. 3 - Happy mit vier Takten
Schulzeit, erste Liebe, langsames
Erwachsenwerden. Die kleine Honda
brachte mich zur Schule, Party oder zur
Tanzstunde.
Die Honda C 110 war der Einstieg von Honda auf den
deutschen Markt. Sie leistete nur 4 PS und
brachte an guten Tagen 70 km/h Spitze.
Während die meisten “Halbstarken” mit
knatternden Kreidler, Hercules oder Zündapp
unterwegs waren, gab es ein paar Wenige, die im
Vierertakt Wiesbaden unsicher machten … die
Elite!
Ein Hochlenker wurde montiert, der Auspuff
ausgeräumt und fertig war der “Easy Rider”
mit einem tollen Sound. Es störte dann kaum
noch, dass die anderen Kleinkrafträder viel
schneller waren.
Helm, Leder und Handschuhe waren damals kein
Thema und so fuhr ich meist mit Bügelfaltenhose
und Halbschuhen durch die Gegend. |
|
|
Mit der C 110 machte ich auch meine ersten
Reparaturversuche - gezwungenermaßen, denn sie ließ mich
öfter im Stich. Wenn ich ehrlich bin, habe ich sie mehr
"kaputt geschraubt", denn das sensible Motörchen
war meinen ungeschickten Fingern einfach nicht gewachsen und
mein Werkzeugkasten bestand nur aus Hammer, Schraubendreher
und 4 rostigen Schraubenschlüsseln. Etwas Solideres musste
her.
Nr. 4 - Mit Motorrad meint man
Max!
|
Meine NSU
Max kaufte ich für 250
DM als ein Wrack, abgemeldet, ohne Batterie und
Kette. Eine Probefahrt war also Fehlanzeige. Ich
musste sie 10 km in die Garage schieben. Dort
angekommen war ich zwar am Ende meiner Kräfte,
aber endlich stolzer Besitzer eines "richtigen"
Motorrades.
Es folgte der unvermeidliche Umbau auf zeitgenössische
Optik: Chromschutzbleche, Pseudojapanische
Blinker, BSA-Sitzbank, ausgeräumte
Schalldämpfer. Arme Max, heute würde ich ihrem
Baujahr 1957 die Ehre erweisen und sie so
lassen, wie sie einst vom Band rollte.
|
|
NSU war einst die größte Zweiradfabrik der Welt. Die
“Max” hat dabei als Alltagsfahrzeug und Rennsportgerät
Geschichte gemacht. Technisch interessant war der Pressstahlrahmen,
die Cantilever-Hinterradfederung und nicht zuletzt der
moderne OHC-Einzylindermotor mit Schubstangensteuerung.
Die Supermax mit Federbeinen erreichte als schärfere
Version 18 PS und glänzte durch hohe Zuverlässigkeit.
Meine lief fast 150 km/h laut Tacho … einmal zumindest!
Davon sollte sie sich jedoch nie mehr erholen und nach einer
wilden Zeit war der Motor ziemlich am Ende
© Michael
(04.10.03
) [Start]
|